Dauer 15min – Uraufführung am 27- April 2018 unter der Leitung von Titus Engel
Neopolis
Auftragswerk der Deutschen Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern
Der Titel ist zusammengesetzt aus den zwei alt griechischen Wörtern :
Neo : Neu /Jung
Polis : Die Stadt /der Staat
Die Entstehung
Seit ich angefangen habe, Musik aufzuschreiben, interessiert mich die Idee, Klänge des Alltages aufzunehmen und zu filtern. Durch diese Tätigkeit erfasse ich Zeitaufnahmen, die es mir ermöglichen, die alltäglichen Wahrnehmungen abgesondert zu betrachten und deren Einfluss auf meine Klangwelt zumessen. Das Resultat, welches stark von der Konfiguration des Filters abhängt kommt meiner orchestralen Klangsuche sehr nahe. Sowohl der horizontale Aspekt wie die Dynamik als auch der vertikale wie die Texturen erschließen sich in diesen überarbeiteten Aufnahmen von selbst, als ob die Musik, die ich seit Jahren zu ergreifen versuche und die Motive die sich mir offenbarten, die des aleatorischen Alltages wären.
(In der Installation Oberfläche aus dem Jahr 2016 setzt eine dieser oben genannten Aufnahmen die Klanglandschaft.)
Der Ansazt für Neopolis kommt dem der figurativen Partitur Les cris de Paris von Clément Janequin nah. Desto weniger ich erfinde oder stilisiere, desto näher komme ich dem gesuchten Resultat nahe. Meine Ausgangspunkte sind weniger andere Kunstwerke wie in Amériques von Edgard Varèse das Verarbeiten des Sacre du printemps oder wie im 3. Satz der Sinfonia von Luciano Berio die Kollagearbeit mit mehreren Zitaten, als die Aufnahmen alltäglicher Situationen die zu Klangporträts teils orchestriert teils gesampelt werden.
Dieser extra-musikalische Ausgangspunkt ermöglicht es mir, die Semantik der Kompositionssprache original einzusetzen. Tonale Elemente können sich in einem atonalen oder Klangeffekt orientierten Kontext entwickeln, insofern der Stil und die Schreibweise sich so radikal verändern können wie das wahrgenommene Umfeld.
Die Allegorie
Neopolis ist das orchestrale Zeitportrait einer Megastadt in der nahen Zukunft. In einer Anreihung kurzer Orchesterstücke porträtieren die Klangbilder die Vision einer Welthauptstadt in der Menschen aller Völker, Kulturen und Religionen zusammenleben. Der programmatische Ansatz dieses Werkes liegt in der Vorstellung des Künstlers, der sich als Fremdkörper wie ein Schattenwesen durch die vielfältigen Stimmungen und Straßenszenen bewegt und sich den Energien des Aufeinandertreffens der multiplen Kulturen und Religionen aussetzt. Als außenstehender Beobachter baut der Künstler durch systematisches Reflektieren seine kulturelle Identität ab und neu wieder auf. Die fortwährende Transformationen seines Innenlebens durch die Wahrnehmungen der vielfältigen Einflüsse und Klänge sind der Kern des Werkes und spiegeln sich im Kompositionsprozess wieder. Diese Klangbilder bauen sich durch die Verknüpfung mehrerer Zyklen auf. Der Reiz entsteht in der Dualität zwischen dem Instinkt des Künstlers, der die Dinge brutal und roh wahrnimmt und seinem Intellekt, der seine Wahrnehmungen zeitgleich in Perspektive setzt.
Ich glaube an einen kreativen und künstlerischen Akt der Teil seiner Umgebung und seiner Zeitgenossenschaft ist. Mein Ansatz liegt im Gegenteil der Collagearbeit, insofern es um die instinktive Artikulation eines original entwickelten Klangmaterials geht.
Ein Foto, ein Text oder ein Film kann zum Zeugnis eines Moments werden. Doch durch die Wahl der Worte und die Wahl des Blickwinkels oder der Aufnahme werden wir immer eine Vision, so objektiv und sachlich sie auch sein mag, mit einem gewissen Grad an Subjektivität wiedergeben. Jedes Klangmaterial kann sich wie ein Körper bewegen, der in der Lage ist, auf kleinste Ereignisse zu reagieren, die seine Umgebung beeinflussen. All dies, wenn die intrinsische Logik, die die Klangmasse als Element definieren lässt, auf analytische oder instinktive Weise wahrnehmbar ist.
Die Idee war daher, das Material als eine Einheit zu definieren, welches wie ein Individuum in Bewegung ist und mit seiner Umgebung interagiert.
In mitten dieser Klanglandschaften wie etwa in Hector Berlioz Harold en Italie in welcher der Künstler durch die Bratsche dargestellt wird, wird in Neopolis das Innenleben des Künstlers, der auf das Wahrgenommene reagiert, dargestellt. Nicht durch ein Instrument oder einer Instrumentengruppe sondern durch die fortwährende Transformationen des Materials.
Eine Sinfonie
Die Organisation in einer Dauer von 15 Minuten, ist die Synthese einer ersten Arbeit mit einem Orchestermaterial, das sich von seiner Entstehung im Jahr 2015 bis zu seiner Uraufführung im Jahr 2018 erstreckte.
Es handelt sich um vier sehr kurze Hauptsätze mit unterschiedlichen Charakteren, die jeweils mit einer “architektonischen” Formel eingeleitet werden, welche sich in einem sehr langsamen Tempo entfaltet. Diese Formel öffnet den Raum, indem sie als Einleitung meisterhafte Türme am Eingang zur Stadt Neopolis abbilden:
Der 1. Satz (2017 in Tahiti)
Das Elementare
In diesem Satz war es meine Suche, eine Artikulation mit einem Motiv zu definieren, welches ich strukturelles Motiv nenne. Diese Motive werden durch ihre Haupteigenschaft definiert, sich über einen langen Zeitraum zu erstrecken und so die Struktur und den Einsatz der Form zu beeinflussen.
Die Idee war es, die Bewegung von primären und universellen Energiemassen (Wind/Luft/Wasser) darzustellen, und zugleich einen perspektivischen Effekt in der Form durch den Fluchtpunkt zu erzeugen.
Das Hören, dessen was eine Bewegung sein könnte, die allen Elementen, allen Arten und allen Kulturen gemeinsam ist. Ein allegorischer Vorschlag für den Eintritt dieser Stadt, welche eine biomimethische Organisation und Architektur offenbart und mehr einem Wald gleicht als einer Menschenstadt.
Ein General Motiv (GM), welches sich im canon entfaltet und dessen Tempo am Ende jedes Zykluses verdoppelt wird, artikuliert sich in einer Spirale, welche die Proportionen der Fibonacci-Reihe besitzt.
Der 2. Satz (2017 in Saarbrücken)
Das Spiel
Im Juli 2017 sejournierte ich in meiner Heimatstadt Saarbrücken und verbrachte Zeit mit meiner Familie und den Kindern. Ich komponierte den zweiten Satz im Stil eines Scherzos.
Ein Thema mit klassischen Charakteristiken erscheint und entfaltet sich für die Dauer eines Satzes. Es ist ein Abbild des Spiels und der Freude, die der Erzähler beim Anblick eines festlichen Moments erlebt :
Der 3. Satz (Paris – 2015)
Diese Satz liegt am Ursprung des Kompositionsprozess dieser Partitur.
Der dritte Teil in seiner ersten Fassung entstand in Paris zwischen Januar und März 2015. Die Idee des Zusammenlebens antagonistischer Kulturen steht im Mittelpunkt dieser Arbeit.
In diesen ersten Skizzen war ich auf der Suche nach einer Schrift von extremer Ausdruckskraft in der Geste, die gleichzeitig eine strukturelle Dimension als Ganzes beibehielt.
Eine Textur die sich in Bewegung befindet. Um die Metapher des Ameisenhaufens zu verwenden : die aus der Ferne einem gewöhnlichen Erdhaufen ähnelt und die sich, wenn wir uns nähern, vom Erscheinen einer homogenen Masse zu einer Vielzahl heterogener, individueller, in Bewegung befindlicher, chaotischer Elemente bewegt und die nach einer letzten Analyse eine intrinsische Logik und Organisation offenbart.
Der 4. Satz (Tahiti 2017)
Dieser Satz spiegelt die Virtuosität und Ausdruckskraft eines Presto wider, das die Dichte einer von einer Kraft bewegten Menge hervorruft, einer Masse, die vereint erscheint, doch auch in mehrere Individuen unterteilt werden kann.
Über die in Realzeit eingesetzte Elektronik
Diese Arbeit ist die Grundlage des Essentia-Forschungsprojektes, das darauf abzielt, ein digitales Instrument zur Verarbeitung und Erzeugung elektronisch/algorithmischer Musik in Echtzeit zu entwickeln.
Ein Max-MSP-Patch wird über ein Midi-Keyboard von einem(r) Keyboarder(In) gesteuert. Er/sie dreht Mikrofone, die im Orchester und auf einige Instrumenten verteilt sind, mit der linken Hand ein und aus.
Mit der rechten Hand löst er die Verarbeitung und Verräumlichung des Klanges in Echtzeit, entsprechend den Angaben (Modulen) der Partitur, aus.